Noch vor einigen Jahrzehnten wäre es undenkbar gewesen, dass sich die Mitarbeiter in einem Office untereinander duzen. Noch unmöglicher war diese Form der Ansprache bei den Vorgesetzten. Da schaute so Mancher ein wenig neidisch auf die Nachbarn in England und all die anderen englischsprachigen Menschen, bei denen es eine sprachliche Unterscheidung zwischen „du“ und „Sie“ nicht gibt, sondern ein einheitliches Pronomen verwendet wird.
Die psychologischen Aspekte der Anredeform
Mit der Anrede „Sie“ bleibt immer eine professionelle Distanz erhalten. Das zeigt sich vor allem dann, wenn es zu Streitgesprächen kommt oder Kritik angebracht werden soll. Gegenüber einem Chef oder Kollegen, den man siezt, wählt man seine Worte mit etwas mehr Bedacht. Der Volksmund fasst das sehr treffend zusammen: „Sie Rindvieh geht einem weniger schnell über die Lippen als du Rindvieh.“
Deshalb wird in vielen Teams mit dem „goldenen“ Mittelweg gearbeitet, der darin besteht, sich mit dem Vornamen anzusprechen, aber trotzdem beim „Sie“ zu bleiben. Durch die Anrede mit dem Vornamen wird ein Mindestmaß an Vertrautheit und Zusammengehörigkeit zum Ausdruck gebracht. Mit dem „Sie“ bleibt der Respekt voreinander erhalten. Darauf legen vor allem die Teamleiter großen Wert, die durch die im Unternehmen herrschende Hierarchie gezwungen sind, auch einmal unangenehme Anweisungen bei ihren Mitarbeitern durchsetzen zu müssen.
Vereinbart man die Anrede „du“, dann stellt man sich innerhalb des Teams auch nach außen hin auf eine Ebene. Sie macht eine andere, unmittelbarere Art der Kommunikation miteinander möglich. Während man einen Menschen, den man siezen muss, üblicherweise in kompletten Sätzen anspricht, tendiert der Mensch bei der Anrede „du“ dazu, auch schnell einmal nur kurze Brocken hinzuwerfen. In einigen Situationen ist das ganz sinnvoll, wenn es wie beispielsweise bei den Notdiensten um besonders schnelle Reaktionen geht.
Der Ton macht die Musik
Im normalen Alltag ist es wichtig, dass man im Umgang miteinander immer höflich bleibt und mit seinem Vokabular auch die Achtung vor dem Anderen nicht in Frage stellt. Besondere Situationen erfordern besondere Mittel. Das gilt auch für die Kommunikation. In Situationen mit großem Stresspotential konzentriert man sich voll auf die zu lösenden Aufgaben. Da tritt der sorgsame Umgang mit dem Vokabular oftmals in den Hintergrund und es rutschen einem Bemerkungen heraus, die so gar nicht gemeint waren.
Hier ist es wichtig, dass sich jeder der Beteiligten der Tatsache bewusst bleibt, dass es sich nicht um einen persönlichen Angriff handelt, sondern die Bemerkung dem psychischen Druck geschuldet war. Kommt es an dieser Stelle zu Missverständnissen sollten sie so schnell wie möglich in einem Gespräch geklärt werden, weil sie sonst das Arbeitsklima in einem Team nachhaltig belasten können.